Dichter dran! – Ein lyrischer Abend mit Nadja Küchenmeister & Raoul Schrott
Gegensätze, Ergänzungen, Pole oder „nur“ gewichtige Stimmen? — Unter diesem Motto wurde die hochkarätige Veranstaltung von Dichter dran e.V. mit Nadja Küchenmeister und Raoul Schrott angekündigt. Die Unterschiedlichkeit dieser beiden lyrischen Stimmen zog ein leidenschaftlich interessiertes Publikum an.
Im ersten Teil des Abends las Nadja Küchenmeister Gedichte aus ihrem jüngsten Band „Im Glasberg“ (Schöffling & Co, 2020). Moderatorin Beate Tröger streifte im Gespräch mit der Lyrikerin verschiedene Stationen in Nadja Küchenmeisters Werdegang: Germanistikstudium, Ausbildung am Deutschen Literaturinstitut Leipzig, Dozententinnentätigkeit an der Universität Köln. Nadja Küchenmeister erzählte über vorwiegend in der vorlesungsfreien Zeit entstehende Gedichte, schilderte das Verhältnis zwischen Lektüre und Schreibprozess und ging auf ihre Arbeitsweise und verschiedene prägende Einflüsse ein. So suchte sie beispielsweise in der Pandemie Begegnungen im Schreiben. Und nun, während des Krieges in der Ukraine, fühle sie sich regelrecht privilegiert, schreiben zu können, „denn andere Autor*innen würden daran zerbrechen“.
Mit Moderatorin Beate Tröger entwickelte sich ein intensives und facettenreiches Gespräch über die Komplexität von Gedichten: „Jedes Buch, das nicht geschrieben wird, sei ihr willkommen.“ Mit dieser treffenden Beschreibung betonte Nadja Küchenmeister, wie wichtig ihr das langsame Schreiben sei. Sie erzählte vom Eigenleben ihrer Gedichte, die auch ihren eigenen Rhythmus entwickelten.
„Inventur des Sommers“ (Hanser Verlag, 2023) heißt Raoul Schrotts neues Buch, das er an diesem Abend vorstellte. Er beschäftigt sich darin mit dem Abwesenden, zugleich aber auch mit dem Anwesenden, das er facettenreich beleuchtet: „Das Glück der Gegenwart liegt in ihrer rundumen Vereinnahmung, wenn man sich wie hypnotisiert darin verliert …“. An anderer Stelle heißt es: „Das Abwesende ist zunächst bloß eine Frage menschlicher Beschränkung“. Für Raoul Schrott hat das Vermisste Bestand, ihn interessiert das Abwesende, das eine Macht auf uns ausübt: „Poesie ist eine Form, Abwesendem eine Stimme zu verleihen“. Doch feiert für ihn Poesie auch die Schönheit. Das Gedicht sei die „konzentrierteste Form der Aussage“ und vermag es, „mit einem Minimum von Mitteln Maximales zu sagen“. Er streute köstliche Anekdoten und Hintergrundgeschichten zwischen seine Gedichte und zeigte sich einmal mehr als Meister darin, hochkomplexe Inhalte kurzweilig und unterhaltsam zu vermitteln.
Das hellwach lauschende Publikum beteiligte sich rege an der abschließenden Diskussion mit Moderatorin Beate Tröger: Ob Bücher so langsam wachsen wie Bäume? Und: Was macht letztlich „gute“ Gedichte aus? Sind Gedichte tatsächlich authentisch? Müssen Gedichte Aussagen treffen? Gibt es eine Unauflösbarkeit des Gedichts? Wieviel Geheimnis benötigt ein Gedicht, und ist das Geheimnis wirklich zu entschlüsseln? Ist ein Poet „nur“ ein Handwerker der Worte? Diese und weitere Fragen wurden mit dem Publikum diskutiert. Marcel Reich-Ranicki pflegte häufig zu sagen: „Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen“. In diesem Sinne trugen wir von Versen berauscht die Nacht zwischen die Zeilen:
Gedichte bieten Raum und erhellende Lesarten! Dies hat das zahlreich erschienene Publikum im Einsteinhaus Ulm einmal mehr erfahren und trat beseelt von diesem lyrischen Abend den Nachhauseweg an.
Die Lesung mit Nadja Küchenmeister & Raoul Schrott wurde von Dichter dran e.V. in Kooperation mit der vh Ulm organisiert. Sie wurde durch die Förderung des Deutschen Literaturfonds und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien ermöglicht.
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