Mit der 3. Ulmer Lyriknacht in der vollbesetzten Ulmer Stadtbibliothek erlebt der Ulmer Lyriksommer 2024 ein grandioses Finale, das stärker nicht hätte sein können.
Ein Saxofon aus dem Off näherte sich langsam den Klavierakkorden auf der Bühne, dazwischen die Stimme von Christine Langer, die Zeilen ihrer Gedichte „The Rose“ und „Augen“ rezitierte: mit einer Gedichtvertonung (Dieter Kraus Saxofon, Bernhard Sinz Klavier, Christine Langer Stimme) wurde die 3. Ulmer Lyriknacht eröffnet. Der Sound von Klavier und Saxofon flutete durch die Bücherregale der Ulmer Stadtbibliothek den mit fast 100 Gästen voll besetzten Zuschauerbereich.
„Ohne Freiheit geht das Leben rückwärts“: mit dieser Zeile von Bertolt Brecht begrüßte Christine Langer das Publikum sowie die drei Lesenden Yevgeniy Breyger, Nancy Hünger und Martin Piekar .
„ich will mich mit einer künstlichen intelligenz unterhalten / die mich missverstehen will“ – Der 1990 geborene und in Frankfurt lebende Martin Piekar, im Brotberuf als Lehrer tätig, las mit Leidenschaft und Esprit aus seinem Buch LIVESTREAM & LEICHEN. Schon bei den ersten Versen hatte er das Publikum auf seiner Seite, das im Chor eine Gedichtzeile wiederholte. Als Lyriker bekannt geworden und vielfach ausgezeichnet, schreibt er auch Prosa und wurde im vergangenen Jahr beim Ingeborg Bachmann Preis mit dem Kelag- und dem Publikumspreis ausgezeichnet. Verblüffend wie er in einem Atemzug Technik und Natur verbinden kann: „es wird frühling in meinem spamordner“. Martin Piekar zeigte mit seinem lyrischen Wortfeuer, was Lyrik kann – nämlich alles.
„der umstand dass die poesie in einem gefährlichen ausmaß auf mein leben übergreife … bis ich mich sehr poetisch fühle“– Nancy Hünger, 1981 in Weimar geboren, leitet seit Oktober 2022 das Studio Literatur und Theater der Universität Tübingen. Ihr Engagement für Literaturvermittlung war bereits am Nachmittag zu spüren, als sie einen lehrreichen und sehr intensiven Lyrikworkshop an der vh Ulm leitete. „nachts besonders nachts geh ich allein durch den anfang wie durch ein ende immer wieder zurück“ – die Intensität ihrer Gedichte übertrug sich spürbar auf die Gäste, die sich in ihre „Sehnsuchtsprotokolle“ vertieften. Nancy Hünger las aus ihrem Gedichtband „4 Uhr kommt der Hund“.
„gott, wie ich politisches sprechen verabscheu, ich liebe aber alle tiere, also auch den mensch“ – diese Zeilen stammen aus dem aufwühlenden Buch „Frieden ohne Krieg“ des 1989 geborenen Yevgeniy Breyger, dem dritten Autor des Abends. Geboren in der Ukraine lebt er seit fast 25 Jahren in Deutschland, seit einiger Zeit in Wien. Bereits sein Debüt im Jahr 2016 wurde ausgezeichnet, es folgten zahlreiche weitere Auszeichnungen. „ich ziehe mich an meiner längsten feder aus dem tief“ – Yevgeniy Breyger sucht nach einer Sprache für seine Betroffenheit über den Krieg und findet Wortschöpfungen, unterschiedliche Tonlagen und Ausdrucksmöglichkeiten: „kriegsfrei, freikrieg“ lautet beispielsweise ein Gedichttitel.
Nach den einzelnen Lesungen sprachen Christine Langer und Co-Moderator Udo Eberl mit den AutorInnen über ihre Arbeitsweisen und ihr poetisches Innehalten, über politische Gedichte sowie über ihr Schreiben während der gegenwärtigen Krisenzeit.
Zum Thema „Freiheit“ wurde die digitale Wand „Freiheit, die wir meinen“ eingerichtet, die erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Alle am Lyriksommer beteiligten AutorInnen wurden gebeten, ein kurzes Statement zu verfassen, was Freiheit für sie bedeutet, was Freiheit mit Sprache zu tun hat und welche Formen der Freiheit ein poetisches Sprechen abbildet. Die vielfältigen und unterschiedlichen Beiträge wurden als durchlaufende Präsentation auf eine Leinwand projiziert. Sie fanden sowohl vor als auch nach der Veranstaltung sowie während der Pause großen Anklang. Außerdem kam Ulms erster Poesieautomat zum zweiten Mal zum Einsatz, aus dem man sich Gedichte für die Jackentasche ziehen kann; auch diese Aktion wurde vom Publikum sehr gut angenommen.
Die Lyriknacht war die Abschlussveranstaltung des von Dichter dran e.V. organisierten diesjährigen Ulmer Lyriksommers – ein grandioses Finale, das stärker nicht hätte sein können.
Die Ulmer Lyriknacht 2024 wurde von Dichter dran e.V. in Kooperation mit der Stadtbibliothek Ulm am 25. Oktober 2024 veranstaltet. Sie wurde von der Baden-Württemberg Stiftung im Rahmen des Literatursommers 2024 sowie von der Kulturabteilung der Stadt Ulm gefördert.
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