Dieser Schweizer Lyrikabend wird dem Ulmer Publikum lange im Gedächtnis bleiben. Am 6. September 2024 gab es im Haus der Museumsgesellschaft Ulm zwei erstklassige Lyrik-Performances mit Simone Lappert & Martina Berther und Heike Fiedler.

du schiebst die krise
im zickzack über den rasen,
die blumen lässt du stehen

Mit diesem Dreizeiler von Simone Lappert begrüßte Christine Langer das Publikum in den Räumlichkeiten der Ulmer Museumsgesellschaft. Die Spätsommersonne verwandelte verschwitzte Wangen in Vorfreude auf die Schweizer Poetry Performances mit Simone Lappert & Martina Berther und Heike Fiedler und flutete die weitläufigen Räume. Das Ulmer Münster durchstrahlte die raumhohe Fensterfront mit unmittelbarem Charme: das Münster, fast zum Greifen nah. Hingucker für die zahlreichen Gäste, aber auch für die beiden Schweizer Autorinnen, die erstmals in Ulm waren.

Simone Lappert & Martina Berther stellten im ersten Teil des Abends ihre Spoken Poetry Performance »längst fällige verwilderung« vor. Benannt nach Simone Lapperts gleichnamigem Lyrikdebüt verdichteten sich die Sinne wild und leise. Tage werden „verfüttert an die tauben auf dem dach“, „gedanken fressen buchstaben aus der hand“, Träume werden „im endlager der zuversicht“ deponiert. In sinnlicher Sprache sickern Nächte „weiss durch die wimpern“, doch die Fragen nach dem eigenen Scheitern bleiben stets präsent. In durchweg freiem Vortrag gestaltete Simone Lappert eine eindringliche Performance, die von der E-Bassistin Martina Berther begleitend untermalt wurde. Erstaunlich, welche Tonlagen Martina Berther ihrem E-Bass entlocken kann, um Gedankenräume zu öffnen und eine fesselnde Intensität zu erzeugen.

Im zweiten Teil des Abends überraschte Heike Fiedler mit außergewöhnlichen Formaten. Ihre Performance benannte sie nach ihrem gleichnamigen Gedichtband “Tu es! hier“. Ihre oft mehrsprachigen Gedichte (französisch, englisch, spanisch, russisch) entstehen im Spiel mit Lauten und Wortfragmenten, sie bewegen sich zwischen Oralität und Schriftlichkeit. Heike Fiedler erkundet Worte und überschreitet unermüdlich die Grenzen von Sprachen und Gattungen, so dass sich unablässig neue Assoziationen öffnen.

Wenn Heike Fiedler Sprachspuren nachging, hörte sich das zum Beispiel so an:  

sie ging aus der einen sprache raus in die andre sprache rein, ging dann mit dieser wieder raus in die erste rein, so, wie sie zwischen mir und dir hin und her ging, als seien wir wörter, als seien wir spucke, als seien wir klammern, als seien wir striche im sand“…

Unterstützt von viel Technik, beispielsweise drei Mikrofonen, Beamer, Mixer, RC Looper, Kross Pad – und natürlich Büchern – kreierte Heike Fiedler eine Vielstimmig- und Mehrdimensionalität, die beinah schwindelig machte. Sie nahm Lautfolgen ihrer Stimme live auf und spielte sie vervielfacht wieder ab, so dass sich Sprache und Stimme verselbständigten und sich ein sprachstimmlicher Automatismus realisierte. Verwurzelt in der Sprache lösten ihre Worterkundungen einen berauschenden Bewusstseinsstrom aus. Zum Schluss ihrer 45-minütigen Performance konzipierte sie einen Sprechchor – das Publikum hatte sie auf ihrer Seite.

Dieser Schweizer Abend war eine Ulmer Premiere: eine Veranstaltung, die im Gedächtnis bleiben wird.

Der Schweizer Lyrikabend wurde von Dichter dran e.V. im Rahmen des Ulmer Lyriksommers 2024 organisiert. Er wurde von der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, der Baden-Württemberg-Stiftung im Rahmen des Literatursommers 2024 sowie der Kulturabteilung der Stadt Ulm gefördert. Die Veranstaltung fand am 6. September 2024 im Haus der Museumsgesellschaft statt.

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